GPO 2024

Wasser als Waffe im Gaza-Streifen

In diesem Artikel wird der Krieg in Gaza aus der Perspektive von Wasser betrachtet. Die AutorInnen heben hervor, wie Wassers die Bedeutung von Mechanismen der territorialen Aufteilung unterstreicht, und plädieren für einen besonderen Schutz von Wassersystemen im Kriegsvölkerrecht.

Geneva Policy Outlook
5. Februar 2024
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Foto von Levi Meir Clancy / Unsplash

Mark Zeitoun, Natasha Carmi, Laura Turley, Mara Tignino

Quellen des Konflikts

Schon bevor mit dem Konflikt im Oktober die jüngste Runde des Blutvergießens im Gaza-Streifen begann, waren dort nahezu sämtliche Wasserquellen so stark verschmutzt, dass man das Wasser nicht mehr trinken konnte. Siebenundneunzig Prozent waren mit Nitraten, Salzen oder Bakterien Tatsächlich werden die wasserführenden Schichten bereits sehr lange stark belasted, seit sie zwangsweise Hundertausende von Palästinenserinnen und Palästinenser versorgen musste, die während der Nakba (Katastrophe) nd der Gründung des Staates Israel 1948 aus ihrer Heimat im britischen Mandatsgebiet Palästina vertrieben wurden. Die Belastung nahm zu, als Israel 1967 den Gaza-Streifen besetzte und mit einer Politik der „Rückentwicklung“ begann. Die erste militärische Verordnung, die Israel im selben Jahr im Westjordanland erließ, lautete, die Palästinenserinnen und Palästinenser vom Brunnenbohren abzuhalten. 

Im Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gazastreifen (Oslo II) von 1995 wird Wasser (neben dem Rückkehrrecht für Flüchtlinge und dem Status von Jerusalem) als eine der „ständigen Statusfragen“ genannt, mit deren Resolution man sich nach fünf Jahren befassen wollte. Obwohl viele gehofft hatten, dass mit den Osloer Abkommen ein neben Israel existierender Palästinenserstaat geschaffen würde, bezeichnete Edward Said einen früheren Entwurf als einen „Palästinensisches Versailler Vertrag“, denn dieser ließ vergangene Unrechtstaten außer Acht und ignorierte die zugrundeliegende Ideologie, welche einem Volk mehr Rechte auf das Land einräumte. Noam Chomsky prophezeite, die geplante Wasserverteilung würde vom Ergebnis her „der Zusammenarbeit zwischen einem Elefanten und einer Fliege“ ähneln.  

Die Kritikerinnen und Kritiker sollten Recht behalten. Bei der Verteilung des gemeinsamen genutzten Wassers wurden laut den Osloer Abkommen ungefähr 90 Prozent den rund 7 Millionen Menschen in Israel zugewiesen und die restlichen 10 Prozent den 3,5 Millionen Menschen im Westjordanland und dem Gaza-Streifen. Die Abkommen ließen auch das Gemeinsame Wasserkomitee entstehen, dessen Rechtsbefugnis nur im Westjordanland (nicht aber in Israel) gilt, was bedeutet, dass die Bewilligung von Wasserprojekten in seit langem existierenden palästinensischen Dörfern an die Bedingung geknüpft ist, dass im Gegenzug Projekte zur Versorgung neuer israelischer Siedlungen genehmigt werden. So wird die Palästinenserbehörde faktisch gezwungen, ihr Einverständnis zur territorialen Landnahme und Besiedlung zu geben. Das Wasser im Gaza-Streifen ließ das Gemeinsame Wasserkomitee gänzlich unbeachtet und verpflichtete die Wasserbehörden dort zur Planung und Schaffung großer und aufwendiger Entsalzungs- und Wasseraufbereitungsanlagen. Diese Pläne kamen nie zustande, denn Geldgeberinnen und Geldgeber waren nicht bereit, Millionen in umfangreiche Infrastruktur zu investieren, bei der die Gefahr bestand, dass sie von Israel zerstört wird, wie es bei den großen Elektrizitätswerken der Fall war. In der Verhandlungsrunde in Annapolis 2008 schlug die palästinensische Seite vor, den Wasserkonflikt durch die Verteilung der Fließmengen nach den Grundsätzen des internationalen Wasserwirtschaftsrechts zu beenden. Doch die US-Vermittlung bestand darauf, dass sich die Verhandlungspartnerinnen und Verhandlungspartner nicht mit Gesprächen über Gesetze oder Rechte befassten, sondern nur technische Lösungen wie etwa die Entsalzung in Betracht zogen, egal wie unrealistisch diese auch sein mochten.  

Die ungerechte Verteilung der Kontrolle über das Wasser hat den israelisch-palästinensischen Konflikt auf breiter Ebene nahezu dreißig Jahre lang angefacht.

Durch Wasser übertragene Krankheiten werden sich hartnäckig halten

Die „totale Belagerung“ durch Israel verhindert nun, dass ein Großteil an Treibstoff und Wasser in den Gaza-Streifen gelangt, und wie vorherzusehen war, ist die Lage verzweifelt. Seit den Abwasserkläranlagen der Treibstoff ausgegangen ist, vermischt sich das unbehandelte Abwasser mit Krankenhausabfällen und den Schwermetallen aus zehntausenden Raketen, die in den Boden eingeschlagen sind. Chirurginnen und Chirurgen können ihre Instrumente nicht mehr sterilisieren. Eltern riskieren ihr Leben, um Wasser für ihre Kinder zu holen, und noch immer leiden zehntausende Kleinkinder an akutem Durchfall und der grassierenden Hepatitis A. Unterdessen scheint sich die israelische Armee darauf vorzubereiten, die Tunnel der Hamas unter dem Gaza-Streifen mit Meerwasser zu fluten, wodurch die Grundwasserschicht noch mehr verseucht und der Gaza-Streifen für künftige Generationen genauso unbewohnbar gemacht werden würde wie für die derzeitige.

So eine Situation würde kaum jemand seinen Feindinnen und Feinden wünschen. Wasser auf eine solche Weise als Waffe einzusetzen, verstößt in der Tat gegen jeden humanitären Grundsatz, den die Welt je aufgestellt hat. Oder wie es der Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser und sanitäre Einrichtungen ausdrückte: Es ist ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. 

Das humanitäre Völkerrecht verpflichtet Israel als Besatzungsmacht, alle in seiner Macht stehenden Maßnahmen zu ergreifen, um so weit wie möglich die öffentliche Ordnung und das zivile Leben wiederherzustellen und zu gewährleisten. Außerdem verlangt das humanitäre Völkerrecht den Schutz von Objekten, die „unentbehrlich für das Überleben der Zivilbevölkerung“ sind (IKRK-Studie zum humanitären Völkerrechts, Regel 54), wie zum Beispiel Wasseraufbereitungsanlagen. Die Genfer Richtlinien zum Schutz der Wasserinfrastruktur gehen in die gleiche Richtung, während die Richtlinien zum Schutz der Umwelt im Rahmen bewaffneter Konflikte (PERAC) und die Erklärung gegen den Einsatz von Explosivwaffen in bewohnten Gebieten (EWIPA) beweisen, dass es auf breiter Ebene immer mehr politische Unterstützung für die Beendigung von Schäden an der Umwelt und an belebten Orten wie dem Gaza-Streifen gibt. 

Die 2021 verabschiedete Resolution 2573 des UN-Sicherheitsrates machte deutlich, dass lebensnotwendige zivile Infrastruktur unter allen Umständen geschützt werden muss. In der informellen, von Mosambik und der Schweiz geförderten „Arria-Formel“-Sitzung beim UN-Sicherheitsrat vor ein paar Monaten war man bestrebt, diese noch auszuweiten. 

Indem man Wassersysteme vom Kampfgeschehen ausklammert, würde man Leid verringern und einen Funken Anstand beweisen.

Solange Raketen abgefeuert werden, werden viele Organisationen weiterhin an die Einhaltung des humanitären Völkerrechts appellieren. Das mag unzeitgemäß sein, ist aber wichtig, denn die Regeln zur Kriegsführung halten inmitten der Gewalt das Gebot der Menschlichkeit aufrecht. Indem man Wassersysteme vom Kampfgeschehen ausklammert, würde man Leid verringern, einen Funken Anstand beweisen und – vielleicht sogar – Gespräche in Gang bringen, die zwangsläufig zustande kommen müssen, sobald sich der Staub gelegt hat.  

Über die Osloer Abkommen hinaus

Wenn diejenigen von uns, die sich in der Geborgenheit des Internationalen Genf befinden, nicht in der Lage sind, den Weg nach vorn zu weisen, wird die Zukunft von denjenigen geschrieben, die das Schlachtengetümmel verursacht und zugelassen haben. Also besteht der Relevanztest für die diplomatische Gemeinschaft darin, ob sie eine politische Zukunft sichern kann, die auf Prinzipien beruht. Die meisten Mitglieder wiederholen das Mantra der von Oslo angeregten „Zwei-Staaten-Lösung“, jedoch auf die Gefahr hin, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.

Hier können wir etwas vom Wasser lernen. Der palästinensische Wunsch nach Selbstbestimmung wird im internationalen Recht weithin anerkannt und entspringt der Landenteignung der Bevölkerung. Der palästinensisch-israelische Konflikt mag zwar durch Gewalt, Ungerechtigkeit und Rache angeheizt werden, doch im Grunde ist er territorialer Natur. 

Wasser ignoriert die von PolitikerInnen und GeographInnen in einem Gebiet festgelegten Grenzen sowie jeden Versuch, den sie unternommen haben, um die dort lebenden Menschen zu trennen. Die für die israelischen Siedlungen oben auf den Hügeln im Westjordanland installierten Wasserleitungen verlaufen entlang von palästinensischen Dörfern am Fuß jener Berge. Die am Ufer des Jordans im Westjordanland lebenden Palästinenserinnen und Palästinenser sind durch Zäune buchstäblich vom Fluss abgeschnitten. Das durch das Kampfgeschehen in Gaza verursachte unbehandelte Abwasser fließt um die Grenzen herum zu den Einläufen der Entsalzungsanlagen in Israel.  

Das Land ist klein und zerstückelt. Im Rahmen des Siedlungsprojekts (im Westjordanland) hat es sich als undurchführbar herausgestellt, den Wasserbedarf der Palästinenserinnen und Palästinenser zu decken. Unter der Besatzung (im Gaza-Streifen) ist ein nachhaltiger Umgang mit einer überbelasteten und verschmutzten Grundwasserschicht nicht möglich. Eine unabhängige Wasserwirtschaft über die drei Territorien hinweg ist widersinnig und die von Oslo angeregten Versuche, das Wasser gemeinsam zu verwalten, haben zu weiteren Landnahmen, Ungerechtigkeiten und Spannungen geführt.    

Wasser sagt uns, dass die diplomatisch geförderte Lösung vom alten Zwei-Staaten-Modell weder gerecht noch realistisch ist.     

Wasser sagt uns, dass die diplomatisch geförderte Lösung vom alten Zwei-Staaten-Modell weder gerecht noch realistisch ist. Viele Menschen in Palästina und Israel, die Jahrzehnte der fehlgeschlagenen Diplomatie miterlebt haben, erklären, dass das Wasser, genauso wie das Land, gemeinsam genutzt werden muss. Sie drängen auf den Grundsatz des internationalen Rechts auf Wasser und das humanitäre Völkerrecht, auf gleiche politische Rechte und gleiche Chancen für alle in diesem Gebiet. Diese Stimmen sind noch nicht politisch organisiert, doch die Resultate des permanenten Einsatzes von Wasser als Waffe sagen uns, dass wir auf sie hören, auf sie eingehen und uns von ihnen den Weg in die Zukunft weisen lassen sollten. 


Über die AutorInnen

Mark Zeitoun ist Generaldirektor des Geneva Water Hub und Professor für Wasser-Diplomatie am Geneva Graduate Institute. 

Natasha Carmi ist Leiterin des Wasser-Friedens-Programms beim Geneva Water Hub. 

Laura Turley ist Leiterin der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik beim Geneva Water Hub.  

Mara Tignino ist Spezialistin für internationales Recht beim Geneva Water Hub und Dozentin an der Rechtsfakultät der Universität Genf. 

Disclaimer
Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Meinungen sind die der Autoren. Sie geben nicht vor, die Meinungen oder Ansichten des Geneva Policy Outlook oder seiner Partnerorganisationen wiederzugeben.