GPO 2024

Bessere Regeln für die Pandemie-Bekämpfung

Im Jahr 2024 steht viel auf dem Spiel, denn die neuen Regeln für Pandemien gehen in das zweite Verhandlungsjahr. Suerie Moon skizziert drei Haupthindernisse, die einem internationalen Abkommen im Wege stehen: die Suche nach einer gemeinsamen Basis in inhaltlichen Fragen, die Form der Regeln und der Prozess, der zum Ziel führen soll.

Geneva Policy Outlook
5. Februar 2024
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Foto von Martin Sanchez / Unsplash

Suerie Moon

Den DiplomatInnen steht ein mühevoller Weg bevor, um den selbst gesetzten Stichtag im Mai 2024 einzuhalten. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte man sich auf eine internationale Pandemieregelungen geeinigt haben, mit denen die Welt vor einer weiteren Katastrophe wie Covid-19 geschützt werden soll. Da die Kriege zwischen Russland und der Ukraine sowie zwischen Israel und der Hamas politische Aufmerksamkeit erfordern und die zweite Jahreshälfte voraussichtlich von den US-Präsidentschaftswahlen dominiert werden wird, sehen einige VerhandlungspartnerInnen den Stichtag im Mai als Muss, während andere ihn für nicht realisierbar halten und meinen, er würde das Machtgefälle noch verschärfen. Denn es steht viel auf dem Spiel. Dieses Regelwerk wird die maßgebende Grundlage dafür bilden, wie Länder und globale AkteurInnen mit der Bedrohung durch Krankheitsausbrüche in den kommenden Jahrzehnten umgehen werden. Doch gibt es mindestens drei Hindernisse, die der rechtzeitigen Überquerung der Ziellinie im Wege stehen: 1) Stark voneinander abweichende Meinungen über den Inhalt, 2) Uneinigkeit über die Form, in der ein solches Regelwerk abgefasst werden soll und 3) mangelnde Klarheit über den Prozess, mit dem 194 Regierungen auf einen gemeinsamen Nenner kommen können.  

Nach wie vor sind die Länder sich bei einer Vielzahl an Themen, die den Kern der Pandemievorsorge und -notfallhilfe bilden, uneins.

Wenden wir uns zunächst dem Inhalt zu: Mit einer Frist von nur noch wenigen Monaten sind sich die Länder nach wie vor uneins bei einer Vielzahl an Themen, die den Kern der Pandemievorsorge und -notfallhilfe bilden. Zum Beispiel: Welche Priorität sollen die Länder der Überwachung gegenüber der alltäglichen Gesundheitsversorgung einräumen? Können Investitionen zur besseren Vorbereitung nationaler Gesundheitssysteme auf mögliche künftige Notsituationen auch einen konkreten Nutzen für die Gesundheit von heute haben? Was sind vernünftige Erwartungen, wenn es um eine Änderung der Politik bei der Aufzucht von Nutztieren, dem Handel mit Wildtieren und der Nutzung von Land geht, um dadurch die Gefahr eines Überspringens von tierischen Pathogenen auf Menschen zu verringern (auch als One-Health-Ansatz bekannt)? Zudem werden sämtliche Punkte rund um Impfungen, Medikamente und andere Gesundheitstechnologien höchst kontrovers diskutiert: Unter anderem, wie eng die Länder bereit sind, bei Forschung und Entwicklung zusammenzuarbeiten; der Umfang, in dem sie privatwirtschaftliche Unternehmen zum Transfer potentiell teurer Technologien drängen können und wollen; wie flexibel sie beim Schutz von geistigem Eigentum sein wollen und welche Rollen sie gerne an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und andere internationale AkteurInnen delegieren möchten. Sollten Länder in diesem Zusammenhang dazu verpflichtet werden, Proben und Daten über Pathogene zügig auf internationaler Ebene weiterzugeben, und welche Art von Zuwendungen sollten sie erhalten, wenn sie sich dazu verpflichten? Über all diesen Themen hängt auch immer die schwierige Frage nach der Finanzierung: Wer zahlt wieviel für was, wer entscheidet das und wie? Die letzte Verhandlungsrunde, welche im Dezember 2023 zu Ende ging, deutete darauf hin, dass es weiterhin große Uneinigkeit bei jedem einzelnen dieser Kernpunkte gibt. 

Ein zweites Hindernis besteht darin, eine Einigung darüber zu erzielen, welche Form die internationalen Pandemieregeln annehmen sollen. Aktuell scheinen folgende Optionen auf dem Verhandlungstisch zu liegen: Sowohl ein Abkommen als auch eine Verordnung, nur ein Abkommen oder nur eine Verordnung oder zwei Verordnungen. Obwohl die Verhandlungen über ein Pandemieabkommen (oft auch als Pandemievertrag bezeichnet) vornehmlich im Rampenlicht stehen, beraten die Verhandlungsdelegationen gleichzeitig auch über Änderungen und Erweiterungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (International Health Regulations, IHR) von 2005, die vor Covid bei länderübergreifenden Krankheitsausbrüchen und anderen möglichen Gesundheitsnotfällen griffen. Wie bereits an anderer Stelle besprochen, ist das bizarre Spektakel, bei dem dieselben Länder, die oft auch von denselben DiplomatInnen vertreten werden, gleichzeitig zwei unterschiedliche internationale Regelwerke für dasselbe Problem aushandeln, das Ergebnis eines 2021 geschlossenen politischen Kompromisses: Zwischen jenen, die ein Abkommen bevorzugten – dazu gehörte die EU – und jenen, die lieber die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IHR) abändern wollten, darunter die USA.

Sowohl eine Verordnung als auch ein Abkommen haben ihre Vor- und Nachteile. Da die IHR bereits in allen 194 WHO-Mitgliedsstaaten (sofern diese nicht ausdrücklich widersprochen haben, was nicht der Fall ist) sowie zwei Nichtmitgliedsstaaten rechtsverbindlich sind, hätten sämtliche Verpflichtungen, die in abgeänderte IHR aufgenommen werden, den Vorteil, dass sie universell anwendbar wären. Allerdings sind diese Vorschriften vom Umfang her relativ begrenzt und schließen Kernpunkte aus, die in vielen Ländern politisch bedeutsam sind, wie etwa Gesundheitstechnologien oder den One-Health-Ansatz. Einem Abkommen käme hingegen größere normative Macht und mehr politisches Gewicht zu (zumindest in einigen Ländern), was dabei helfen würde, die politische Aufmerksamkeit auf höchster Ebene und die finanziellen Mittel zu erhalten, welche nach jeder Krise nachlässt, jedoch benötigt werden, um die Risiken der nächsten Krise bedeutend zu verringern und sie besser zu bewältigen. Der Umfang der derzeit im Pandemieabkommen enthaltenen Kernpunkte ist tatsächlich weit größer und spiegelt die politischen Schwerpunkte einer Vielzahl von Ländern sowie die Auffassung wider, wie Pandemien im 21. Jahrhundert bekämpft werden sollten.

Noch komplexer wird die Sache dadurch, dass eine klare Trennlinie fehlt, welche Kernpunkte von den IHR und welche vom Pandemieabkommen geregelt werden sollen. Den Ländern liegt viel daran, ihre Schwerpunktthemen in beiden Papieren unterzubringen, oder zumindest in demjenigen, bei dem am wahrscheinlichsten ist, dass es verabschiedet wird und das einen höheren Wirkungsgrad verspricht. Doch welches soll das dann sein? Einer der wenigen Grundsätze, bei dem sich scheinbar alle einig sind, lautet, dass „nichts beschlossen ist, bevor alles beschlossen ist“. Mit anderen Worten, diese beiden Prozesse bilden ein einziges politisches Verhandlungspaket. Das bedeutet, wenn beispielsweise einem Land Gleichbehandlung und Überwachung bei der Verteilung von Impfstoffen äußert wichtig sind, dann ginge es auf Nummer sicher, wenn es in beiden Papieren auf die dafür günstigste Ausdrucksweise drängt. Solche politischen Strategien sind rein rational, doch behindern sie auch Bemühungen, sich auf zwei deutlich voneinander abgegrenzte Regelwerke zu einigen. Aus diesem Grund drängen einige Länder auf ein Pandemieabkommen, andere auf abgeänderte IHR, und wieder andere spielen mit der Idee von zwei Regelwerken – anstelle des aktuellen Impetus zu einem Abkommen und einer Verordnung. Wenig Einvernehmen herrscht auch bei der Form, die eine oder mehrere Endfassungen annehmen sollen, oder darüber, wie man aus diesem Kabelsalat ein einheitliches, durchführbares internationales Regelwerk basteln kann.

Und schließlich ist unklar, mit welchem Prozess diese Uneinigkeiten bei Inhalt und Form angegangen werden kann. Bis jetzt schwankten die Verhandlungen über ein Pandemieabkommen zwischen einer zentralgesteuerten Bemühung, unter der Federführung des Sechs-Länder-Büros und des WHO-Sekretariats, einen einzigen, einheitlichen Verhandlungstext zu produzieren, und der Frustration vieler Länder darüber, dass solche Texte ihre Schwerpunkte nicht adäquat wiedergeben. Nach der letzten Verhandlungsrunde zückten die Länder ihre Stifte, um den 30-seitigen Text in eine über 80 Seiten lange Liste mit Vorschlägen zu verwandeln, welche die noch immer vorhandenen starken Unstimmigkeiten widerspiegeln. Das wirft die Frage auf, wie man bei so vielen substantiellen Kernpunkten (ganz zu schweigen von den Formfragen) in so kurzer Zeit eine gemeinsame Grundlage finden soll. Zwar haben sich kleinere inoffizielle Gruppen in dem Versuch getroffen, bei bestimmten Themen einen Kompromiss auszuarbeiten, doch dadurch werden die kleineren Delegationen ziemlich überbeansprucht und auch ein Prozess zersplittert, in dem zwangsläufig themenübergreifende Kompromisse geschlossen werden müssen. 

Die Vielschichtigkeit der zu behandelnden substantiellen Kernpunkte heißt aber auch, dass das Engagement in den Verhandlungen größtenteils auf einer relativ fachlichen Arbeitsebene geblieben ist. Eine Kernfrage des Prozesses ist, wann ein politisches Engagement auf einer höheren Ebene vonnöten sein wird, um aus den Sackgassen herauszukommen und zu einer Einigung zu gelangen.

Eine gemeinsame Grundlage bei einer Vielzahl von substantiellen Kernpunkten zu finden, sich auf die Form des internationalen Regelwerks zu einigen und den Prozess, mit dem wir dorthin gelangen, anzupassen, sind alle ausschlaggebend.

Alles in allem braucht die Welt dringend bessere Regularien zum Umgang mit Pandemien, doch der Weg dorthin war noch nie so steinig. Eine gemeinsame Grundlage bei einer Vielzahl von substantiellen Kernpunkten zu finden, sich auf die Form des internationalen Regelwerks zu einigen und den Prozess, mit dem wir dorthin gelangen, anzupassen, sind alle ausschlaggebend, wenn wir in diesem oder einem anderen Jahr über die Ziellinie kommen wollen.  


Über den Autor

Suerie Moon ist Direktorin des Global Health Centres und Professor of Practice für internationale Beziehungen und Politikwissenschaft am Geneva Graduate Institute. 

Disclaimer
Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Meinungen sind die der Autoren. Sie geben nicht vor, die Meinungen oder Ansichten des Geneva Policy Outlook oder seiner Partnerorganisationen wiederzugeben.