GPO 2024

Technologie-Startups für globalen Impact: Wie Genf neue Talente und Branchen fördern kann

Christopher Fabian reflektiert über die Erfahrungen mit der Kombination von Blockchain-Technologie, Finanzinnovation und multilateraler Regulierung und plädiert für eine gemeinsame Sprache, Experimentierräume und Strategien zur Gewinnung neuer Talente.

Geneva Policy Outlook
5. Februar 2024
7 Minuten lesen
Foto von Shubham Dhage / Unsplash

Christopher Fabian

Seit die Blockchain-Technologie über die Kryptowährung hinausgereift ist, hat sie sich aus ihren Wurzeln in der Mathematik und Kryptografie heraus zu einem nützlichen Werkzeug weiterentwickelt, mit dem sich eine Reihe von Herausforderungen angehenlassen, die der aktuelle Stand der Internet- und Dateninfrastruktur mit sich bringt. Eine Anwendung der aktuellen Blockchain-Technologie bietet die Möglichkeit, Wirtschaftsgüter aus der echten Welt zu tokenisieren. Angefangen beim Finanzwesen, über Mode und Immobilien, bis hin zu Konsumgütern bedeutet das eine Umwandlung herkömmlicher Prozesse in schnellere, eindeutigere und transparentere digitale Märkte. Der kürzlich erfolgte Umzug von Giga, einem Technologie-Start-Up innerhalb der Vereinten Nationen, nach Genf gewährt Einblicke in die Politik, welche diese Stadt so attraktiv für Firmen macht, die mit Tokenisierung zu tun haben.

Mit der Einführung einer eindeutigeren Regelung tokenisieren Firmen in der Schweiz Sachwerte wie Edelmetalle, Immobilien oder Kunst. Eine Firma besitzt einen Vermögenswert (eine Zusammenstellung verschiedener Edelmetalle, eine Gemäldesammlung), der sich in Segmente zerlegen lässt. Die einzelnen Segmente oder Tokens können digital angekauft, verkauft und gehandelt werden. Mit der richtigen Regulierung lassen sich so dynamischere finanzielle Möglichkeiten für den Vermögenswert erschliessen. Tokenisierung kann für mehr Liquidität in der Anlagenkategorie sorgen und einen Markt für Sachwerte schaffen, die anderenfalls stagnieren würden und unzugänglich wären. 

Die Schweiz ist Vorreiterin bei der Entwicklung von Regulierungen für die Tokenisierung. Neben materiellen Vermögenswerten wie Immobilien oder Edelmetallen ist die Schweiz führend in der Ausarbeitung tokenisierter Finanzprodukte. Im Januar 2023 gaben die Behörden der Stadt Lugano über Blockchain eine Anleihe mit sechs Jahren Laufzeit aus, die CHF 100 Mio. einbrachte und umgehend ausverkauft war. Diese weithin als Premiere im öffentlichen Sektor geltende Emission gehört zu Blockchain-basierten Anleihen im Wert von CHF 1,5 Milliarden weltweit. Für diese Anleihen dient Blockchain als Mittel zur Abrechnung und als „Point of Truth“ bei den Transaktionen, was für Transparenz sorgt und die Bearbeitungszeiten verkürzt.   

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) veröffentlichte im Dezember 2022 vorläufige Vorgaben zum aufsichtsrechtlichen Umgang mit Kryptowerten. Diese Massstäbe umreissen die erforderlichen Mindestregularien und gelten sowohl für global systemrelevante Banken wie Citi, Barclays, JP Morgan, als auch für die der BIZ angehörende Landesbanken wie UBS, Société Générale und Standard Chartered. Das Verfahren ermöglicht den Banken ein Anlagerisiko bei riskanten Kryptowerten von insgesamt bis zu 2% ihres Kernkapitals in Kauf zu nehmen. 

Schweizer Regulierungen erklären, wie Vermögenswerte tokenisiert und gehandelt werden können. Die Rahmenbedingungen zeigen auf, welche Art von synthetischen oder derivaten Produkten und Märkten aus diesen digitalen Gütern gebildet werden können.

Diese Beispiele der Schweizer Regulierungen erklären, wie Vermögenswerte tokenisiert und gehandelt werden können. Die Rahmenbedingungen zeigen auf, welche Art von synthetischen oder derivaten Produkten und Märkten aus diesen digitalen Gütern gebildet werden können. Ausserdem können sie sowohl den UnternehmerInnen als auch den KonsumentInnen eine Sicherheit bieten.

Gigas Mission und Blockchain-Nutzung

Giga, ein Gemeinschaftsprojekt von UNICEF und der Internationalen Fernmeldeunion (ITU), nutzt die Eindeutigkeit der Schweizer Gesetzgebung und die internationale Positionierung Genfs in ihrer Arbeit. Gigas Mission ist einfach, aber ambitioniert: jede Schule auf der Welt ans Internet anzuschliessen und die restlichen 2,6 Milliarden Menschen ohne Internet-Zugang online zu bringen. 

Von 2021 bis 2023 hat Giga rund 6.000 Schulen (über 2,4 Millionen SchülerInnen) in 21 Schwellenländern Internet-Zugang verschafft. Nachdem Giga bereits 2,1 Millionen Schulen kartographisch erfasst und Ländern wie Ruanda und Kirgisistan dabei geholfen hat, zwischen 45% und 55% Netzanbindungskosten zu sparen, werden sich nun in den kommenden 24 Monaten weitere Länder mit Giga zusammentun. Weltweit unterstützt Giga die Netzanbindung von über 25’000 Schulen (über 10 Millionen SchülerInnen) in insgesamt 30 Ländern.

Gigas Rolle beinhaltet auch den Aufbau umfassender Datenbanken für RegierungspartnerInnen, die Gestaltung von Infrastruktureinrichtungen und die Mobilisierung von Finanzierung. Mithilfe der Blockchain-Technologie kann Giga transparente und effiziente Systeme für diese Prozesse schaffen. 

Gigas wichtigste Herausforderungen

Einen Marktplatz für einen neuen Vermögenswert zu schaffen, der zwischen dem öffentlichen und dem privatwirtschaftlichen Sektor existiert, ist schwierig. Eine der grössten Herausforderungen für Giga besteht darin, einen Weg zu finden, das eigene Kernhandelsobjekt, das Gigabyte, auf einem globalen Markt abzurechnen, damit zu handeln und mit ihm zu interagieren.

Wie in den Beispielen mit den realen Sachwerten arbeitet Giga daran, Gigabytes mithilfe der Blockchain-Technologie zu tokenisieren oder „umzubrechen“, um eine bessere Abrechnung und Bewertung sowie den Handel mit Gigabytes als Sachwerten zu ermöglichen. Das geschieht bereits auf nationaler Ebene, doch häufig ohne grosse Transparenz.  

Vielfach hapert es an der Bereitstellung von Internet-Zugang, vor allem in Schwellenmärkten oder ländlichen Gebieten. Die Kosten für Gigabytes ändern sich je nach Tageszeit. Die BetreiberInnen haben feste und eingeschränkte Gebiete, in denen sie arbeiten können. Etablierte InternetanbieterInnen kontrollieren das Spielfeld. Giga glaubt daran, dass sich mit der Tokenisierung dieses Handelsguts Klarheit auf den einzelnen Märkten schaffen und ein globales Handels- und Transaktionsnetzwerk aufbauen lässt. Dadurch würde ein „Marktplatz für Konnektivitätsguthaben“ zur Förderung des Wettbewerbs geschaffen, wodurch nicht ans Internet angeschlossene Menschen mehr Zugang erhielten.

Die Rolle des internationalen Genf bei der Bewältigung der Herausforderungen

Genfs internationale Rolle und die vielen dort ansässigen öffentlich-privaten Partnerschaften machen es zu einem idealen Standort für Initiativen, die sich mit dem Zusammenspiel internationaler Beziehungen, des öffentlichen Sektors, der Technologie und der Finanzwirtschaft befassen.

Genfs internationale Rolle und die vielen dort ansässigen öffentlich-privaten Partnerschaften machen es zu einem idealen Standort für Initiativen, die sich mit dem Zusammenspiel internationaler Beziehungen, des öffentlichen Sektors, der Technologie und der Finanzwirtschaft befassen. 

Gesetzgebung: Das regulatorische Umfeld für Blockchain in Genf ist eindeutig. Es gibt zahlreiche Firmen in der Stadt, die rechtliche Unterstützung anbieten und Start-Ups mit GesprächspartnerInnen der Regierung zusammenbringen. Neuerungen bei der Regulierung, die aus der Schweiz kommen, fallen weltweit ins Gewicht und können im internationalen Rahmen als Orientierungshilfe dienen.

Internationales Genf: Genf ist Sitz von Botschaften und UN-Organisationen, wodurch ein Umfeld für eine Zusammenarbeit im öffentlichen Sektor auf den allerhöchsten Ebenen geschaffen wird. Die Erfahrung von Genf bei der Schaffung politischer und normativer Rahmenbedingungen ermöglicht es Initiativen in der Stadt, von der bereits eingerichteten Infrastruktur zu profitieren, die sich weit über die Stadt- oder Landesgrenzen erstreckt.

Public Private Partnership: Genf bringt Fachkompetenzen aus dem herkömmlichen Finanzsektor, der neueren Kryptowährung und Blockchain zusammen, ohne überbevölkert zu sein. Obwohl Banken und Technik traditionell auf der einen Seite des Genfer Sees ansässig sind und internationale Organisationen auf der anderen, so gibt es doch Möglichkeiten für Brückenbau und Zusammenarbeit. Ein 2022 von Swiss Re und vom EPFL International Risk Governance Centre veranstalteter Workshop zum Thema „Kontrolle und Lenkung der Chancen und Risiken digitaler Währungen“ veranschaulicht, wie Technologie sektorenübergreifend umgesetzt werden kann.

Finanzielle Innovation: Damit die Blockchain-Technologie in ihrer vollen Bandbreite genutzt werden kann, bedarf es finanzieller Innovation. An Hochschulen wie der EPFL, der Universität Genf und dem Geneva Graduate Institute, aber auch bei Privatbanken und im Kreise örtlicher UnternehmerInnen gibt es Fachgruppen, die sich mit Tokenisierung beschäftigen. In Genf findet mindestens zweimal im Monat eine Blockchain-Sitzung statt, und Konferenzen wie die Crypto Finance Conference (Kryptofinanzkonferenz) St. Moritz halten jetzt Begleitveranstaltungen in der Stadt ab.

Genf als Drehscheibe für eine gerechte, globale Technologieentwicklung

Als Standort für Initiativen wie Giga bietet Genf nicht nur ambitionierten Projekten eine Heimat. Die Stadt positioniert sich auch als globales Zentrum für bahnbrechende Lösungen in einer zunehmend komplexen Welt. Am 17. November 2023 verabschiedete das Genfer Parlament den schriftlichen Antrag ‘Motion Blockchain’, der einen ‘’Crypto Lake’’ in Genf vorschlägt. Der Antrag nimmt Blockchain in die kantonale Wirtschafts- und Digitalisierungsstrategie auf und schafft dadurch einen sicheren gesetzlichen Rahmen sowie einen Fokus auf bestimmte Kernprojekte. Verstärkt werden können diese Bemühungen durch diverse politische Veränderungen, die sich aus der Verschmelzung von Technologie und kommunaler Kultur in anderen Städten ableiten. 

Intentionalität: Um neue Technologien oder eine neue Art von Unternehmertum anzuziehen, müssen sich Städte gezielt dafür einsetzen. Mit Öffentlichkeitsarbeit ist es gelungen, Städte wie Miami und Zug für eine grosse Anzahl an Blockchain-ExpertInnen attraktiv zu machen. Jährliche Veranstaltungen, öffentliche Führungsverantwortung und Kommunikation nach aussen bestimmen in einer Stadt den Ton. Zur Advocacy-Arbeit kann auch die Entwicklung von Räumen zum Ausprobieren von Regularien gehören (wie Zürichs Innovation Sandbox), in denen Misserfolge, Lernprozesse und Wachstum zulässig sind, während bestimmte Standards für die Tokenisierung und Dezentralisierung definiert werden. Netzwerke für TechnikerInnen finden schnell heraus, wo sie unterstützt werden, und Start-Ups können sich oft leichter bewegen als alteingesessene Firmen.

Eine gemeinsame Sprache: Genf kann eine gemeinsame Sprache zwischen „was war“ und „was kommen wird“ festlegen. Städten wie Shenzhen half das dabei, sich mit neuen Technologiegebieten und ihren Fachkenntnissen aus der Vergangenheit neu aufzustellen. In Genf würde dies bedeuten, die natürliche Dezentralisierung der Schweizer Politik und die Neutralität von Stadt und Staat in eine Sprache zu übertragen, mit der sich die Blockchain-UnternehmerInnen wohlfühlen. Ein Zusammenschluss aus erfahrenen RechtsexpertInnen kann dabei helfen, Steuerverfahren für Unternehmen zu vereinfachen. Der „Blockchain-Antrag“ schlägt vor, dass es als praktische „Umsetzung“ dieser Werte bei der Schweizer Nationalbank in Neuchâtel möglich sein sollte, die Eröffnung von Kryptowährungskonten bei der Genfer Kantonalbank zu gestatten.   

Neue Gesichter: Städte, die Nachwuchstalente aus neuen Technologiebereichen anziehen wollen, müssen Mittel für diejenigen bereitstellen, die sehen wollen, ob sie die Stadt zu ihrem Zuhause machen möchten. Station F in Paris half neuen UnternehmerInnen dabei, sich schneller in der Stadt einzugliedern. Dazu schuf Station F einen emblematischen Raum, verband ihn mit Mitteln wie finanzieller Unterstützung, Rechtsberatung und Kommunikationsmitteln und baute so einen Gemeinschaftssinn auf. Genf hat bereits einige inoffizielle Blockchain-Veranstaltungen, darunter auch solche, die von der Good Token Society organisiert werden. Zusätzlich zu diesen Veranstaltungen täte Genf gut daran, einen zweckgebundenen materiellen Anreiz und einen Investitionsknotenpunkt für Blockchain und verwandte neue Technologie zu schaffen. Die anfängliche Verwendung dieser Anreize könnte sich auf Projekte konzentrieren, die für den Kanton und die Welt relevant sind, wie zum Beispiel die Tokenisierung von Gigabytes, Gesundheitsakten, elektronische Abstimmungsverfahren sowie Abrechnungen und Gebührenzahlungen.

Blockchain ist ein Bereich, in dem die Schweiz mit ihrer Erfahrung glänzen kann und dem in den kommenden Jahren Sparten wie Quantencomputing, Neurotechnik und grüne Technologien folgen könnten.

Genfs Zusage an Initiativen wie Giga lässt eine grösser angelegte Rolle in der internationalen Technologielandschaft erkennen. Blockchain ist ein Bereich, in dem die Schweiz mit ihrer Erfahrung glänzen kann und dem in den kommenden Jahren Sparten wie Quantencomputing, Neurotechnik und grüne Technologien folgen könnten. Mit ihrer Neutralität, dem internationalen Fachwissen, der strengen Sorgfalt und einer Vertrauensbasis kann Genf im kommenden Jahrzehnt beim Aufbau digitaler Vermögenswerte richtungweisend sein.


Über den Autor 

Christopher Fabian ist Technologiemanager, Gründer und Mitverantwortlicher von Giga, einem Gemeinschaftsprojekt von UNICEF und ITU, das sich mit dem Aufbau von Technologie und der finanziellen Planung erschwinglicher Netzanbindungen in Schulen auf der ganzen Welt befasst. Er gründete und vergrösserte ausserdem UNICEFs Innovationsabteilung sowie deren Kryptowährungsfond. Christopher berät Zentralbanken und MinisterInnen für Informations- und Kommunikationstechnik zu Blockchain und hält Kurse und Vorträge über Blockchain und verwandte Technologien ab, darunter erst kürzlich an der Tandon School of Engineering der New Yorker Universität und der Chinesischen Zentralakademie für Kunstwissenschaft.

Dank geht ausserdem an Gabriel Jaccard (Gründungspartner von Arbitri.ch) für seine bahnbrechende Arbeit am ,,Blockchain-Antrag’’ und für seine Leistungen sowie die von Emile-Alice Fabrizi in Bezug auf die in Genf ansässige Good Token Society. Zusätzliche Inputs sowohl von Alexandre Robert-Tissot (Gründer, ART Computer) als auch von Andile Ngcaba (Gründer und Vorsitzender, Convergence Partners) waren bei diesen Überlegungen sehr hilfreich.

Disclaimer
Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Meinungen sind die der Autoren. Sie geben nicht vor, die Meinungen oder Ansichten des Geneva Policy Outlook oder seiner Partnerorganisationen wiederzugeben.