GPO 2024

Fit für die Zukunft: Kapitalflüsse, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft

Angesichts des ökologischen Kollapses müssen InvestorInnen ihre Verantwortung für die Gesellschaft neu definieren. Marie-Laure Schaufelberger beschreibt drei Aktionsziele: In Technologien investieren, sich an Umweltzielen orientieren und die direkte Beteiligung an Veränderungsprozessen.

Geneva Policy Outlook
5. Februar 2024
6 Minuten lesen

Marie-Laure Schaufelberger

Schon vor Jahren erklärte der Finanzstabilitätsrat den Klimawandel zu einem systemweiten Risiko. Im März 2022 liess das Netzwerk zur umweltfreundlichen Gestaltung des Finanzwesens (eine Gruppierung von 116 Aufsichtsbehörden – darunter die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht und die Schweizerische Nationalbank) öffentlich verlauten, dass „naturbedingte Risiken erhebliche makroökonomische und finanzielle Auswirkungen haben könnten“. Im vergangenen Jahrzehnt kam die Menschheit zur Einsicht, dass es an der Zeit sei, zu handeln. Der enge Fokus auf das Klima wurde erweitert und umfasst nun alle Belastungsgrenzen der Erde, und man wandte sich ab vom Versuch der Schuldzuweisung und hin zum Eingeständnis, dass wir alle unseren Teil beitragen müssen. 

Die Umstellung auf eine widerstandsfähigere Wirtschaft erfordert weitaus mehr Investitionen als heute, was voraussetzt, dass diejenigen, die das Kapital bereitstellen, ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft neu definieren müssen.

Die Herausforderung, der sich Regierungen, Firmen, Regulierungsbehörden und die Zivilgesellschaft jetzt stellen müssen, besteht darin, wie man die Umstellung auf eine widerstandsfähigere und nachhaltigere Wirtschaft kollektiv umsetzt und mit welcher Geschwindigkeit. Veränderungen sind beängstigend und schwierig, aber notwendig, um bessere Ergebnisse zu erzielen, und sie sind einfacher zu erreichen, wenn man auf ein gemeinsames Ziel hinarbeitet. Eines ist sicher: die Umstellung auf eine widerstandsfähigere Wirtschaft erfordert weitaus mehr Investitionen als heute, was voraussetzt, dass diejenigen, die das Kapital bereitstellen, ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft neu definieren müssen.

Das grösste Marktversagen aller Zeiten

Der ökologische Kollaps, dessen ZeugInnen wir in den kommenden Jahrzehnten werden könnten, ist das Resultat des grössten Marktversagens aller Zeiten. Jahrzehntelang haben wir im Wesentlichen von einer „Gratismentalität“ zu Lasten unseres Planeten profitiert. Und InvestorInnen wissen, dass es nichts gratis gibt.

In der Sprache der Finanzwirtschaft hat die Menschheit bei unentbehrlichen Ökosystemtleistungen – Kohlenstoff- und Wasserkreisläufen, Landsystemen und Artenvielfalt – enorme Schulden angesammelt. Darauf haben wir mit mehrfacher Bitte um Stundung dieser Schulden reagiert und diese noch weiter in die Zukunft verschoben. Der Planet Erde stellt uns nun immer häufiger Nachschuss-Aufforderungen in Form von Klimachaos, Extremhitze, Waldbränden, Überschwemmungen und Dürren. Analog zu finanziellen Schulden werden auch hier die ultimativen Kosten immer höher, je länger wir sie aufschieben. Im Gegensatz zu Finanzschulden gibt es in der Natur aber keine Zentralbank. Keine Institution kann plötzlich einschreiten, um CO2 aus unserer Atmosphäre abzuziehen, gesünderen Erdboden zu drucken oder dort mehr Wasser einzuspritzen, wo es am dringendsten benötigt wird.  

Konkurs anmelden stellt für einen Planeten, der für Menschen immer lebensfeindlicher wird, keine Lösung dar. Wenn wir weiterhin entschlossene Massnahmen hinauszögern, wird sich das negativ auf das gesamte System auswirken. Inmitten der derzeitigen Makro-Volatilität, die durch Inflation, unterbrochene Lieferketten und geopolitische Konflikte gekennzeichnet ist, vergisst man leicht, dass das Erdklima den wirtschaftlichen oder politischen Auseinandersetzungen der Menschheit gleichgültig gegenübersteht. 

Die Rolle der Vermögensverwaltungsbranche

Die Auswirkungen des massiven Klimawandels und der Naturzerstörung lassen sich nicht durch finanzielle Absicherungen oder Diversifizierung begegnen.

Laut der OECD hat sich die Kluft bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele in den Entwicklungsländern nach Corona um 56% vergrössert und betrug 2020 insgesamt 3,9 Billionen USD. In entwickelten OECD-Volkswirtschaften konkurrieren diese Ausgaben mit Gesundheitsfürsorge und steigenden Verteidigungshaushalten. In Entwicklungsländern wird die Doppelbelastung aus Schulden und Anpassung an den Klimawandel durch das Fehlen stärkerer Kapitalflüsse unvertretbar. Zur Erreichung dieses Ziels müssen die gewaltigen Kapitalfonds beitragen, die im Namen aller SparerInnen auf der ganzen Welt verwaltet werden, allen voran die 80%, die in einkommensstarken Ländern gehalten werden. Die Regierungen allein werden nicht in der Lage sein, die Umstellung zu beschleunigen und für mehr Anpassungsfähigkeit zu sorgen, auch wenn sie bei der Festlegung politischer Richtlinien und Rahmenbedingungen für private grüne Investitionen, CO2-Besteuerung, glaubwürdigen Emissionshandel und Umlenkung von Subventionen eine wichtige Rolle spielen. 

Die Auswirkungen des massiven Klimawandels und der Naturzerstörung lassen sich nicht finanziell absichern oder verteilt anlegen. Da universelle EigentümerInnen, VermögensverwalterInnen und BesitzerInnen von Vermögenswerten mit einem repräsentativen Anteil der Wirtschaft und sämtlicher Branchen in Kontakt sind, haben sie die besten Möglichkeiten, um verantwortungsbewusst zu Handeln, und tragen gleichzeitig ein enormes Risiko, wenn sie es nicht tun.

Trotz der wissenschaftlichen Erkenntnisse argumentieren viele immer noch, dass die Einbeziehung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren (ESG) bei der Erbringung finanzieller Leistungen an KlientInnen nicht unter die TreuhänderInnenpflichten fallen. Dies zeugt von einer falschen Vorstellung sowohl der Rolle der Investmentverwaltungsbranche als auch der wissenschaftlichen Realität. Eine der Kernfunktionen der Aktivkapitalverwaltung ist die Preisfindung. Dazu gehört auch durch Datenerhebung, -filterung und -auswertung Schwächen bei der Preisgestaltung zu ermitteln, um daraus verwertbare Erkenntnisse für Investitionen abzuleiten. Es geht darum, die Disziplin aufzubringen, diese Aufgabe über längere Zeit ohne Schwankungen und wiederholbar durchzuführen und dabei relevante Informationen einzubeziehen, die wesentlichen Einfluss auf den Preis von Finanzwerten haben. Wir wissen, dass die jetzigen Preise verzerrt sind, weil sich Externalitäten (Umweltverschmutzung, Emissionen, Nutzung natürlicher Ressourcen) in den Märkten nicht adäquat widerspiegeln. Portfolios unterliegen unweigerlich den wachsenden globalen wirtschaftlichen Kosten, die sich bei investierenden Firmen und Märkten in Versicherungsprämien, Steuern, überhöhten Einkaufspreisen, verlorenen Investitionen, erhöhten Prozessrisiken und den mit Naturkatastrophen einhergehenden physischen Kosten niederschlagen. Diese Informationen werden vom Markt zunehmend anerkannt.  

Zwar hat sich die Rolle der AktivkapitalverwalterInnen nicht verändert, doch die Einsätze, die benötigt werden, um optimale risikobereinigte Erträge zu erzielen, schon. Jetzt, da wir die Fakten kennen, die uns dabei helfen, das Bild zu vervollständigen, können ökologische und soziale Überlegungen schlicht nicht mehr ignoriert werden.

Ausserdem muss eine wirtschaftliche Bewilligung von Kapital an EmittentInnen mit niedrigen oder rückläufigen Kosten bei den Externalitäten (zum Beispiel AnbieterInnen von grünen Technologien oder EmittentInnen, die von stark Co2-intensiven Tätigkeiten zu einem Netto-Null-Stand übergehen) auf lange Sicht Schutz bieten und eine hochwertigere und vorhersagbarere Rentabilität erzielen. Letztendlich müssen InvestorInnen von den widerstandsfähigen Systemen profitieren, die von ihnen mitunterstützt und mitaufgebaut werden. Dementsprechend können verantwortungsbewusste InvestorInnen nicht einfach nur die Risiken für ihre Vermögenswerte betrachten, sondern müssen sich auch Gedanken über die Auswirkungen von Kapitalallokationsentscheidungen auf die Umwelt und die Gesellschaft machen. 

Als VerwalterInnen langfristiger Spareinlagen können InvestorInnen drei Dinge tun, um die Umstellung auf eine CO2-reduzierte und naturverträgliche Wirtschaft zu fördern. Erstens können sie den Firmen Kapital zur Verfügung stellen, die Technologien und Dienstleistungen entwickeln, welche den Druck auf Ökosystemleistungen verringern und eine Kreislaufwirtschaft fördern. Zweitens können sie Kapital an Firmen weiterleiten, deren Tätigkeiten an wissenschaftsbasierten Umweltschutzzielen ausgerichtet sind. Dabei handelt es sich um Firmen, die notwendige Lösungen auf den Markt bringen, um die Auswirkungen auf alle menschlichen Aktivitäten zu reduzieren. Angefangen bei den Gebäuden, in denen wir leben, bis hin zu der Art und Weise, wie wir reisen und uns ernähren, müssen über 90% der Wirtschaft umgestellt werden. Drittens können und müssen sich InvestorInnen für Veränderungen einsetzen. Verkaufen InvestorInnen umweltschädliche Güter mit Umstellungspotential an andere KäuferInnen, verringern sich dadurch die an die Umwelt abgegebenen Emissionen nicht. Es wird immer SpekulantInnen geben, die bereit sind, kurzfristig für eine höhere mögliche Rendite zusätzliche Risiken einzugehen. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Selbstverpflichtung mehr Aussicht auf Erfolg im sich wandelnden unternehmerischen Gebaren hat als Ausschliessung.

Zusammenarbeit und ein systemischer Ansatz sind entscheidend  

Selbstverpflichtung hat mehr Aussicht auf Erfolg, wenn sie von lokalen InvestorInnen angeführt wird und Rückendeckung durch eine grössere und diverse Interessengruppe erhält. Ein gutes Beispiel für dieses neue Modell ist Climate Action 100+, eine gemeinschaftliche InvestorInnen-Initiative, die finanzielle Unterstützung in Höhe von 68 Billionen USD an Vermögenswerten zusammengetragen hat, um die 170 grössten kommerziellen TreibhausgasemittentInnen der Welt in die Pflicht zu nehmen. Um CA100+ zum Leben zu erwecken, waren die Daten und Erkenntnisse von Nichtregierungsorganisationen, katalytisches Kapital aus Stiftungen, Billionen an zweckgebundenem Kapital von InvestorInnen und der politische Rahmen des Pariser Abkommens vonnöten. Initiativen zu Wasser und Natur sind diesem Beispiel gefolgt. 

Je mehr wir die Umweltschutzprobleme verstehen, umso deutlicher wird, dass wir allen Menschen Mittel und Wege zur Umstellung bieten müssen, und nicht nur den Wohlhabenden und den AktivistInnen.

Wir brauchen mehr Massnahmen dieser Art, mit weit mehr Kapital, das dorthin fliesst, wo es am meisten benötigt wird. Hier kommt Genf ins Spiel – eine Stadt, in der unterschiedliche Ideen und Glaubensvorstellungen seit Jahrhunderten im offenen Dialog nebeneinander koexistieren. Als weltweit führendes Zentrum für Vermögensverwaltung ist Genf zudem Sitz der Vereinten Nationen, von 179 ausländischen Vertretungen, 37 internationalen Organisationen und 400 Nichtregierungsorganisationen und weist eine der höchsten Konzentrationen an karitativen Stiftungen auf der ganzen Welt auf. Auch steht Genf an vorderster Front in Sachen Menschenrechte und bei der Festlegung von Normen und Standards, die für starke soziale Fundamente erforderlich sind. Die Berücksichtigung sozialer Faktoren ist entscheidend. Je mehr wir die Umweltschutzprobleme verstehen, umso deutlicher wird, dass wir allen Menschen Mittel und Wege zur Umstellung bieten müssen, und nicht nur den Wohlhabenden und den AktivistInnen. Ohne einen neuen Gesellschaftsvertrag wird es keinen grünen Wandel geben.  

Dieses Genfer Ökosystem – mit seiner Mischung aus Wissen, Kapital und Convening Power – besitzt die einzigartige Fähigkeit und die Verantwortung, mutige Massnahmen zu ergreifen, um den Wandel herbeizuführen, den heutige und zukünftige Generationen verdienen.   


Über den Autor

Marie-Laure Schaufelberger ist Leiterin der ESG und der Verwaltung für die Pictet Group.

Disclaimer
Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Meinungen sind die der Autoren. Sie geben nicht vor, die Meinungen oder Ansichten des Geneva Policy Outlook oder seiner Partnerorganisationen wiederzugeben.