GPO 2024

Die Lage der Sterne: Weltraumsicherheit heute

Die Verwaltung des Weltraums wird weltweit immer wichtiger. Ching Wei Sooi erklärt, was diesen Trend antreibt und wie wichtig es ist, dafür zu sorgen, dass der Weltraum sicher, geschützt und nachhaltig bleibt. Er legt auch dar, welche Rolle das internationale Genf bei diesem aufkommenden Thema spielen kann.

Geneva Policy Outlook
5. Februar 2024
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Foto von NASA / Unsplash

Ching Wei Sooi

Der aktuelle Stand der Weltraumforschung

Der Vormarsch und die Ausbreitung der Raumfahrttechnik sollten mit offenen Armen begrüßt werden, denn ein jeder Mensch hat im wahrsten Sinne des Wortes einen Anteil am Weltraum.

Das Weltall ist ein technologisches Umfeld, das in der heutigen Zeit einem schnellen - wenn nicht gar dem schnellsten - Wandel unterworfen ist (der vielleicht nur noch von Künstlicher Intelligenz und Cybersicherheit übertroffen wird). In keinem Jahr wurden mehr Satelliten ins All geschossen als 2022, und in den letzten fünf Jahren starteten mehr Satelliten als in den sechzig Jahren zuvor. Der internationale Weltraummarkt, der 2022 auf einen Wert von 424 Milliarden USD geschätzt wurde, hat 2023 die Marke von 500 Milliarden USD überschritten und wird bis 2030 schätzungsweise 737 Milliarden USD erreichen. Mehr Staaten als je zuvor entwickeln eine Raumfahrtpolitik, nutzen das Weltall für Wachstum, fördern ihre Weltraumindustrie, betreiben Satelliten und werden zu aktiven TeilnehmerInnen in multilateralen Foren. In industriellen, akademischen und zivilgesellschaftlichen Kreisen treten zunehmend nichtstaatliche AkteurInnen in den Vordergrund. Es ist zu erwarten, dass sich diese Tendenzen bis über das Jahr 2024 hinaus fortsetzen und sogar noch zunehmen werden.

Der Vormarsch und die Ausbreitung der Raumfahrttechnik sollten mit offenen Armen begrüßt werden, denn ein jeder Mensch hat im wahrsten Sinne des Wortes einen Anteil am Weltraum. Die Raumfahrttechnik wirkt sich positiv auf die Ziele für nachhaltige Entwicklung aus, und die moderne Lebensweise der Menschheit hängt von Dienstleistungen aus dem All und von Weltraumanlagen ab. Satelliten ermöglichen eine sichere, zuverlässige Kommunikation und eine Zeitsynchronisation zwischen Finanzinstituten. Die Hochseeschifffahrt verlässt sich bei Navigation und Echolot-Spurverfolgung auf Satelliten. Das Weltall ist ausschlaggebend für einen wirksamen Klimaschutz; über die Hälfte der wesentlichen Klimavariablen (die kennzeichnend für das Erdklima sind) werden vom Weltall aus überwacht. Unsere fortlaufende Nutzung der Raumfahrttechnik und deren Anwendung sowie der Nutzen, den wir davon haben, hängen von der Gewährleistung ab, dass das Weltall sicher, geschützt und zukunftsfähig ist.

Herausforderungen im Weltall

Leider sind nicht alle Entwicklungen positiv. Einige Fachleute warnen, dass sich bereits der Kessler-Effekt abspielt, demzufolge die Weltraumtrümmer im Orbit eine solche Dichte erreicht haben, dass unkontrollierbare Kollisionen in einer Kettenreaktion immer noch mehr Trümmer verursachen. Jüngsten Schätzungen der Europäischen Weltraumbehörde zufolge handelt es sich bei den Weltraumtrümmern um 36‘500 Objekte größer als 10 cm, 1 Million Objekte mit einer Größe von 1 cm bis 10 cm und 130 Millionen Objekte mit einer Größe zwischen 1 mm und 1cm.

Große Sorge bereitet auch die mögliche Verlagerung irdischer Spannungen von der Erde ins All. Die Entwicklung von Technologien für einen militärischen Gegenschlag aus dem All („counterspace“) ist unaufhaltsam. Für den englischen Begriff „counterspace“ gibt es keine allgemein anerkannte Definition, doch im von UNIDIR kürzlich veröffentlichten Lexikon für Weltraumsicherheit umschreiben wir ihn als „Fähigkeiten, Techniken oder Wirtschaftsgüter, die gegen andere Weltraumobjekte oder eine Komponente eines Weltraumsystems eingesetzt werden können, um diese absichtlich abzulenken, zu behindern, zu schwächen, reversibel oder irreversibel zu beschädigen oder zu zerstören, um dadurch Vorteile gegenüber einem Gegner zu erlangen“.  

Zudem hat das Aufkommen von technischen Fähigkeiten zur Beseitigung von Weltraumschrott oder zur Reparatur und Betankung von Objekten im All zwar neue Möglichkeiten eröffnet, zugleich aber auch die Gefahr von Rechenfehlern, Missverständnissen und Fehlkommunikation erhöht, woraus die Angst resultiert, dass diese von der Gegenseite zur Schädigung anderer Weltraumobjekte zweckentfremdet werden könnten. Darüber hinaus befeuert das Streben der Staaten nach einer Basis auf dem Mond oder dem Mars auch die Frage der Territorialabgrenzung. Auch besteht ein erneutes Interesse an der Möglichkeit eines Rohstoffabbaus im All, was Fragen über die Aneignung von Himmelskörpern aufwirft.  

Die verstärkte Zunahme menschlicher Aktivitäten im Weltraum verlangt, dass wir uns eingehend damit beschäftigen, was eine ethische Nutzung und Erforschung des Weltalls ausmacht, wie wir mit Kulturerbe im All umgehen und kulturelle und historische Artefakte, Stätten und Traditionen geschützt werden können, die über die Erde hinaus von Bedeutung sind. So haben zum Beispiel viele indigene Kulturen enge Verbindungen zum Kosmos.

Genfs Rolle bei der Weltraumsicherheit

Welche Auswirkungen hat die rasante Entwicklung von Weltraumaktivitäten und (ziviler und militärischer) Weltraumtechnologien auf die Zukunft der internationalen Diplomatie und der globalen Sicherheit? Genf selbst dient schon lange als Knotenpunkt für multilaterale Debatten und Gespräche rund um Weltraumsicherheit. Jetzt, da weltraumfähige Technologien und Dienste immer mehr Einzug in den Alltag der gewöhnlichen BürgerInnen halten, ist für die breiter gefasste Genfer Policygemeinschaft der entscheidende Moment gekommen, um Bilanz über den aktuellen Stand der Dinge zu ziehen. Für die in Genf ansässige Abrüstungskonferenz ist die Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum (Preventing an arms race in outer space, PAROS) ein ständiger Punkt auf der Tagesordnung. Vor kurzem war in Genf die ergebnisoffene Arbeitsgruppe (OEWG) zur Verringerung der Weltraumbedrohungen durch Normen, Regeln und Grundsätze für verantwortungsvolles Verhalten zu Gast, die im September 2023 ihren Abschluss fand. Außerdem war Genf Tagungsort der im April 2019 beendeten RegierungsexpertInnengruppe (REG) zu weiteren praktischen Maßnahmen zu PAROS. Mit Blick auf die Zukunft wird über den Jahreswechsel 2023 / 2024 eine zweite REG in Genf stattfinden. Ferner ist es wahrscheinlich, dass zwei OEWGs zur Weltraumsicherheit von 2025 bis 2026 bzw. von 2024 bis 2028 parallel zueinander beraten. 

Über 1,7 Millionen nicht-geostationärer Satelliten sind mittlerweile registriert und könnten bis 2030 in die Umlaufbahn geschossen werden.

Außerdem kommt den in Genf ansässigen Institutionen eine wichtige Rolle bei der Koordinierung von Weltraumaktivitäten zu. Die International Telecommunications Union (ITU) kümmert sich um die Zuteilung der knappen Sendeplätze für die Satellitenübertragung und der Radiofrequenzspektren. Über 1,7 Millionen nicht-geostationärer Satelliten sind mittlerweile registriert und könnten bis 2030 in die Umlaufbahn geschossen werden. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz lieferte ein Sachverständigengutachten über die Sicherheit der Menschen und die rechtlichen Aspekte im Zusammenhang mit dem Weltraum – und unterstrich dabei die gravierenden humanitären Auswirkungen, die es hätte, sollte im Weltall ein Konflikt ausbrechen. Genf scheint auch der gemeinsame Standort für eine wachsende Weltraumforschung und -industrie zu sein. Die Diskussionen über Weltraumsicherheit profitieren von der aktiven Auseinandersetzung mit solchen nichtstaatlichen Interessengruppen. 

Und welche Rolle kommt den im Palais des Nations sitzenden Instanzen der Vereinten Nationen zu? In diesem diplomatischen und technischen Strudel übernimmt das Büro der Vereinten Nationen für Abrüstungsfragen Sekretariatsaufgaben und wesentliche Unterstützungsfunktionen in verschiedenen Weltraumsicherheitsprozessen (z.B. REGs und OEWGs), während das Weltraumsicherheitsprogramm des Instituts der Vereinten Nationen für Abrüstungsforschung (UNIDIR) Workshops, Arbeitsbesprechungen und Seminare abhält und Berichte und Hilfsprogramme erstellt. Zu den erwähnenswerten Beispielen gehören unter anderem das Lexikon für Weltraumsicherheit und das Weltraumsicherheitsportal von UNIDIR sowie UNIDIRs jährliches Aushängeschild, die Weltraumsicherheitskonferenz. 

Mit Blick auf die Zukunft stellt die kommende REG eine erstklassige Gelegenheit dar, um weitere Überlegungen anzustellen und einen Konsensbericht zu verfassen.

Für die Weltraumsicherheitsgemeinde ist PAROS der Leitstern. Mit Blick auf die Zukunft stellt die kommende REG eine erstklassige Gelegenheit dar, um weitere Überlegungen anzustellen und einen Konsensbericht zu verfassen – und den interessierten Parteien Möglichkeiten zu eröffnen, um bei ihren Zwischentreffen das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Diese Prozesse und fortlaufenden Aktivitäten schaffen Möglichkeiten für ein aktives Engagement in verwandten Themenbereichen. Das ist von entscheidender Bedeutung für die Vertrauensbildung, die breite Beteiligung verschiedener AkteurInnen, die Einbeziehung unterschiedlicher Perspektiven und die Arbeit an gemeinsamen Erkenntnissen. Dialogforen, Politikberatung und Workshops geben nur einen kleinen Teil der einberufenen Veranstaltungen wieder, die Fortschritte bei PAROS begünstigen könnten.  

Es besteht Anlass zu verhaltenem Optimismus. Das nachgeordnete Organ zu PAROS in der Abrüstungskonferenz verabschiedete 2022 einen Konsensbericht. 2023 erreichte die Arbeitsgruppe II der Abrüstungskommission einen Konsens und gab Empfehlungen zur Förderung der Transparenz und Durchführung von vertrauensbildenden Maßnahmen zur Durchsetzung von PAROS ab. Der OEWG zur Verringerung der Weltraumbedrohungen war es zwar nicht gelungen, einen Konsensbericht zu verabschieden, es zeugte jedoch von einer erheblichen überregionalen Zusammenarbeit. Nach Angaben des UN-Untersekretärs Guy Ryder auf UNIDIRs jüngst stattgefundener Weltraumsicherheitskonferenz 2023 hat der Prozess „neue Ideen in einer offenen und inklusiven Umgebung vorangetrieben und neuen Partnerschaften zwischen Nord und Süd Vorschub geleistet“. 

Auf der ganzen Welt werden sich Staaten zunehmend bewusst, dass es notwendig ist, nationale, regionale, überregionale und multilaterale Weltraumrichtlinien, -strategien und -positionen zu entwickeln. In Anbetracht der vermehrten menschlichen Aktivität im Weltall gewinnen die Notwendigkeit einer ethischen Rahmenordnung, welche die friedliche Nutzung und Erkundung des Weltraums und die Entwicklung von Möglichkeiten für einen militärischen Gegenschlag aus dem All regelt, sowie die Weltraumsicherheitsdiplomatie in Genf zweifellos zunehmend an Bedeutung. Die Chancen, die sich hier für die politische Steuerung und Kontrollierung des Alls ergeben, dürfen dabei nicht vernachlässigt werden.


Über den Autor

Ching Wei Sooi ist promovierte Fachkraft in den UNIDIR-Programmen für Weltraumsicherheit und Massenvernichtungswaffen.

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