GPO 2023

Earth Diplomacy: Diskretes Handeln für mehr Klimaschutz

Das konsensorientierte multilaterale System kann die dringenden Klimaschutzmaßnahmen nicht umsetzen. Welche ergänzenden Wege gibt es? Eine flinkere Form der privaten Diplomatie, die "Erddiplomatie", könnte den Weg weisen.

Geneva Policy Outlook
30. Januar 2023
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Foto von Annie Spratt / Unsplash

Gabriel Gomes Couto

Das Zeitfenster, in dem die Menschheit die schlimmsten Klimakatastrophen verhindern kann, schliesst sich rapide, und das multilaterale System reagiert nicht schnell genug. Der Multilateralismus tut das, wofür er eingerichtet wurde: globale Vereinbarungen aushandeln, die die Absichten und Beschränkungen der 198 Parteien (197 Nationalstaaten und die Europäische Union) widerspiegeln. Sucht man also parallel zu diesem System nach Alternativen, stellt sich die Frage, ob die nicht-öffentliche Diplomatie zu einem konkreten und dinglichen Klimaschutz beitragen kann. Um diese Frage zu beantworten, schlägt dieser Artikel eine agilere, handlungsorientiertere Form der Diplomatie vor, um den Weg des geringsten Widerstands für einen funktionierenden Klimaschutz zu finden: die „Earth Diplomacy“.

Trotz 30 Jahre multilateraler Klimaverhandlungen im Zuge der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (United Nations Framework Convention on Climate Change; UNFCCC) ist das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5°C über vorindustriellem Niveau zu begrenzen, heute in weite Ferne gerückt. Mit Abschluss der 27. UN-Klimakonferenz (Conference of Parties to the UNFCCC; COP27) bleibt der Planet selbst beim unwahrscheinlichen Szenario, dass alle Länder ihre Zusagen einhalten, weiter auf seinem Kurs zu einer Erwärmung von 2,7°C bis Ende des Jahrhunderts. Um so nah wie möglich an der Grenze von 1,5°C Erwärmung zu bleiben, muss der Höhepunkt des CO2-Ausstosses vor 2025 erreicht sein und bis spätestens 2030 um 43% verringert werden. Die Botschaft ist eindeutig: Die Diskussion muss sich von der Ebene der Verhandlungen hin zu Handlungsvorschlägen verschieben, von blossen Abkommen hin zu konkret umzusetzenden Massnahmen.

Klimamaßnahmen sind mit Problemen behaftet: politische und private Interessenkonflikte und geopolitische Konkurrenz. In der Friedensmediation wird die private Diplomatie üblicherweise als paralleler Weg genutzt, wenn offizielle Prozesse ins Stocken geraten. Warum sollte man sie nicht auch für den Klimawandel nutzen?

Doch bei den fossilen Brennstoffen handelt es sich nicht bloss um Energieträger; sie lassen sich auch in Macht für Staaten und Eliten ummünzen. Der Klimaschutz ist von Problemen geprägt: von Interessenskonflikten, sowohl politischer als auch privater Natur, und dem geopolitischen Wettbewerb. In der Mediation wird die private Diplomatie häufig als paralleler Weg genutzt, wenn offizielle Prozesse ins Stocken geraten. Warum nutzt man sie also nicht auch beim Klimawandel?

„Earth Diplomacy“: Der Einsatz der privaten Diplomatie beim Klimaschutz

Bei der nicht-öffentlichen Diplomatie handelt es sich um Mediation oder prozessbegleitende Unterstützung durch Akteure, die keine Staaten und Regierungsorganisationen repräsentieren, wie das zum Beispiel die Vereinten Nationen tun. Das in Genf ansässige Centre for Humanitarian Dialogue (HD) ist ein typisches Beispiel für eine private Diplomatie-Akteurin. Als unabhängige Nichtregierungsorganisation hat HD mitgeholfen, bewaffnete Konflikte in einigen der kompliziertesten Kontexten der Welt zu lösen. Hauptziel dieser Form von Diplomatie ist es, in Räume vorzustossen, die Regierungen und Regierungsorganisationen aufgrund vielfältiger politischer Schwierigkeiten oder Mandatsbeschränkungen nicht hinreichen. Nichtstaatliche AkteurInnen haben den Vorteil, dass sie kleiner und meist auch günstiger sind als staatliche Behörden. Zudem können sie einen besseren Zugang zu jenen AkteurInnen herstellen, die für die Lösung des Problems zwar zentral, aber nicht sonderlich zugänglich sind (dazu gehören insbesondere auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen). Dennoch stellt die nicht-öffentliche Diplomatie kein Allheilmittel dar. Sie ist kein Ersatz für offizielle Verhandlungen oder multilaterale Mechanismen. Vielmehr handelt es sich um einen alternativen Weg, wenn offizielle Pfade blockiert sind und diskrete Kanäle benötigt werden, um festgefahrene Situationen aufzubrechen.

Wenn die private Diplomatie kein Ersatz für offizielle Verhandlungen oder multilaterale Mechanismen ist, wodurch erlangt sie ihre Relevanz, spezifisch im Kontext des Klimaschutzes? Darauf gibt es drei Antworten:

Erstens bringt die private Diplomatie Fachleute zum Brainstorming und Austesten von Lösungen zusammen. Da es sich dabei strenggenommen nicht um „offizielle“ Verhandlungen handelt, bietet diese Form von Diplomatie auch die Gelegenheit, WissenschaftlerInnen, die Zivilgesellschaft und Privatpersonen einzubinden, um Lösungen zu erarbeiten und auszuprobieren, die machbar und gerecht sind. Lösungen für den Klimaschutz erfordern eine solche enge Zusammenarbeit zwischen politischen EntscheidungsträgerInnen, der Akademie, der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft.

Zweitens stellt die private Diplomatie Kanäle bereit, in der sich Diskretion und Inklusion das Gleichgewicht halten. Die Errichtung von sicheren Räumen für diskrete Verhandlungen ist ein wesentlicher Faktor für den Aufbau von Vertrauen zwischen den involvierten Parteien. Ausserhalb der Öffentlichkeit können Verbindungen auf persönlicher Ebene geknüpft werden und institutionelle Identitäten zweitrangig werden. Gerade der Klimaschutz erfordert häufig auch die Kooperation von AkteurInnen, die keine offizielle Beziehung haben oder die ausserhalb ihres Mandats handeln müssen. Diskreten Kanälen, in denen Ideen und Vorschläge frei und vertraulich besprochen werden können, kommt daher hohe Bedeutung zu.

Drittens schliesst die private Diplomatie auch schwer zugängliche, aber mächtige AkteurInnen ein. Es ist naiv zu denken, staatliche Behören könnten Konflikte oder den Klimawandel im Alleingang lösen. Die Privatwirtschaft, die für den grössten Teil des weltweiten CO2-Ausstosses verantwortlich ist, ist im Kampf gegen den Klimawandel von wesentlicher Bedeutung. Auch kontrollieren in vielen Kontexten nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen und Milizen natürliche Ressourcen und Wasserquellen. Indem die private Diplomatie Mittel und Wege findet, um mit solchen AkteurInnen ebenso wie mit Führungspersonen aus der Privatwirtschaft zusammenzuarbeiten, ist sie bestens geeignet, Umwelt- und Klimaschutz selbst in komplexen Realitäten möglich zu machen. Es handelt sich um eine Lücke, die Staaten und grosse internationale Organisationen aufgrund der mit der Einbindung vieler AkteurInnen häufig verbundenen hohen politischen Kosten nicht abdecken können.

Anstatt sich darauf zu konzentrieren, 200 Parteien dazu zu bringen, einem globalen multilateralen Vertrag zuzustimmen, kann Earth Diplomacy dabei helfen, pragmatische Lösungen für bestimmte Themen zu entwickeln und voranzutreiben.

Setzt man diese Teile zusammen, schlägt dieser Artikel die „Earth Diplomacy“ als neues Anwendungsgebiet der privaten Diplomatie vor, um Hindernisse für einen effizienten und realistischen Klimaschutz aus dem Weg zu räumen. Darüber hinaus sollte die „Earth Diplomacy“ auch als Basis für eine unabhängige, wendige Mediation etabliert werden, um AkteurInnen zusammenzubringen und Lösungen im Bereich Klimaschutz zu ermöglichen. Statt sich darauf zu konzentrieren, dass sich 200 Parteien auf einen weltweiten multilateralen Vertrag einigen, kann die „Earth Diplomacy“ dabei helfen, pragmatische Lösungen zu bestimmten Problemen zu entwickeln und voranzubringen. Beispiele dafür sind die Erhaltung von bedrohten Ökosystemen, die Sanierung der Umwelt, der Bau von neuen Ökostrom-Kraftwerken, oder Technologietransfers.

Das internationale Genf als Dreh- und Angelpunkt für die „Earth Diplomacy“

Durch die in Genf ansässigen Organisationen - vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) über den Finanzsektor und diplomatische Missionen bis hin zu Rohstoffsektor und vielen spezialisierten Institutionen - ist die Stadt bestens positioniert, um eine zentrale Rolle im Bereich Klimaschutz einzunehmen. „Silos aufbrechen“ ist eine häufige gehörte Phrase; jetzt ist es an der Zeit, diese in die Praxis umzusetzen. Die Stadt ist stets nur einen Handschlag entfernt von Staatsoberhäuptern, Vorstandsvorsitzenden, hochrangigen InvestorInnen, Geschäftsführenden von Denkfabriken sowie auch anderen mächtigen AkteurInnen aus der ganzen Welt. Der entscheidende Wert der Stadt Genf liegt darin, dass sie starke Verbindungen in die Praxis über viele Bereiche hinweg aufweist.

Um Lösungen für den Klimaschutz voranzutreiben, kann (und muss) auf diesen Netzwerken aufgebaut werden. Doch für eine Ausweitung dieser Bemühungen ist eine ganz bewusste Entscheidung nötig, Genf zu einer Hauptstadt für die Suche nach Klimaschutzlösungen durch einen „Earth Diplomacy“ Ansatz zu machen.


Über den Autor

Gabriel Gomes Couto ist Berater für Nachhaltigkeit und Klimawandel bei der Peace Dividend Initiative und hat sich zum Ziel gesetzt, die „Earth Diplomacy“ als unabhängiges Projekt zur Förderung von Klimaschutz vorazutreiben. Er hat sich auf Mediation, Klimasicherheit und ökologische Friedensförderung spezialisiert und hat einen Master in Entwicklungsforschung vom Geneva Graduate Institute.


Disclaimer

Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Meinungen sind die der Autoren. Sie geben nicht vor, die Meinungen oder Ansichten des Geneva Policy Outlook oder seiner Partnerorganisationen wiederzugeben.