GPO 2023

Jenseits des Techno-Solutionismus

In einem unberechenbaren geopolitischen Kontext bieten uns neue Technologen ein attraktives Narrativ. Trauen wir uns angesichts dieses Techno-Solutionismus schwierigen Fragen zu stellen? Und auch neue Partnerschaften zu entwickeln, die auf eine gerechte und nachhaltige Gesellschaft hinarbeiten?

Geneva Policy Outlook
30. Januar 2023
4 Minuten lesen
Foto von Maksym Kaharlytskyi / Unsplash

Jérôme Duberry

In der Geschichte der internationalen Beziehungen haben Technologien immer eine wichtige Rolle gespielt, insbesondere aufgrund der engen Verbindung zwischen technologischer Innovation, Sicherheit und Macht. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich immer wieder gezeigt, dass Technologien unterschiedlich eingesetzt werden können: Die Atomtechnologie ebenso wie die Biotechnologie, die Neurowissenschaften und die künstliche Intelligenz können gleichzeitig wohlwollend als auch böswillig eingesetzt werden und unvorhersehbare Auswirkungen haben - je nach sozialem, wirtschaftlichem und ökologischem Kontext.

Die Realität ist komplex und unsere Antworten auf sie müssen nuanciert sein. Im Kontrast dazu wird Technologie häufig als eine schnelle und sichere Lösung mit konkreten Ergebnissen präsentiert, die VerwaltungsrätInnen, SpenderInnen sowie WählerInnen anspricht. Evgeny Morozov prägte den Begriff Techno-Solutionismus mit seinem im Jahr 2013 veröffentlichten Buch Um alles zu retten, klicken Sie hier: Die Torhiet des technologischen Solutionismus (Original: To Save Everything, Click Here: The Folly of Technological Solutionsm). Er beschreibt darin die menschliche Tendenz, Technologie als einfache Lösung für die Herausforderungen der realen Welt zu sehen.

Doch jede Technologie ist politisch. Sie ist das Ergebnis von Wahlmöglichkeiten und Entscheidungen einer Gruppe von Menschen und spiegelt zeitlich und geografisch verortete Werte und Interessen wider. Wenn bei der Gestaltung von Technologien die Vielfalt der realen Welt nicht wiedergegeben wird, verstärkt der Techno-Solutionismus bestehende Überwachungspraktiken und eine übermässige Kontrolle marginalisierter Bevölkerungsgruppen und verschärft damit die Ungleichheit. Philip Alston, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für extreme Armut und Menschenrechte, warnt in diesem Zusammenhang vor den Risiken der Digitalisierung staatlicher Stellen, die Daten und Technologien zur Automatisierung, Vorhersage, Überwachung und Bestrafung nutzen und damit insbesondere die Ärmsten treffen.

Beim Klimawandels bietet uns der Techno-Solutionismus eine Weltanschauung, in der der Mensch seine Umwelt vollständig kontrollieren kann. Während das Anthropozän die Entstehung eines neuen geologischen Zeitalters beschreibt, in dem der Mensch zur wichtigsten verändernden Gewalt auf der Erde aufsteigt, verspricht uns der Techno-Solutionismus nicht etwa ein nie dagewesenes planetares Chaos, sondern eine Kontrolle, die die physikalischen Kräfte überwindet, eine Form des Hyper-Anthropozäns.

Techno-Solutionismus - sowie Populismus und reaktionäre Politik - sind sowohl die Ursachen als auch die unglücklichen Versuche, auf die radikalen Unsicherheit zu reagieren.

Dabei passt sich diese Ideologie - mit oder ohne Absicht - der Weltsicht von RechtspopulistInnen und anderen reaktionären PolitikerInnen an, die ein vergangenes Gesellschaftsmodell für die Welt propagieren und die aktuellen Herausforderungen leugnen. Ein solcher reaktionärer Impuls ist nicht neu: Dieses Phänomen taucht immer dann auf, wenn es einen plötzlichen und einschneidenden Wandel in der Gesellschaft gibt. Er schafft die Illusion der schnellen technologischen Lösungen und erzeugt politische Slogans, mit denen Herausforderungen vereinfacht werden, indem eine Rückkehr in eine hypothetische Vergangenheit vorgeschlagen wird. Die Komplexität und die unbequemen Wahrheiten unserer heutigen Zeit werden damit verleugnet. Der Techno-Solutionismus ist - ebenso wie der Populismus und die reaktionäre Politik - sowohl eine Ursache als auch ein unglücklicher Versuch, auf die gegenwärtige radikale Unsicherheit zu reagieren.

Was sind die Alternativen dazu? Wie kann man sich in der Unbequemlichkeit der komplexen Welt wohlfühlen? Wie kann sichergestellt werden, dass Technologie zu demokratischen, sozialen und ökologischen Innovationen und zum Nutzen aller beiträgt?

Zunächst einmal ist es die Erkenntnis, dass keine Entität die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen alleine bewältigen kann. Doch durch die Entwicklung innovativer Formen der Zusammenarbeit, bei der Technologie, Natur- und Sozialwissenschaften, zwischenstaatliche Organisationen und Regierungen, die Zivilgesellschaft und Unternehmen in all ihrer Vielfalt einbezogen werden, können wir auf diese komplexen Herausforderungen reagieren. Neue Formen der öffentlich-privaten Partnerschaft für eine nachhaltige Entwicklung entstehen und zeigen, wie mit ihnen Effizienz mit zentralen Qualitäten wie Verantwortung, Transparenz und Demokratie verbunden werden können.

Die Technik allein kann nichts ausrichten. Erst durch ihre Umsetzung durch den Menschen kann sie zum Gemeinwohl beitragen oder es zerstören. Und nur in ihrem sozialen und ökologischen Kontext können wir die Probleme verstehen, um die es geht.

Wir müssen angesichts der Komplexität von Erfahrungen und bei den erwarteten Ergebnissen technologischer Innovationen aber auch demütig bleiben. Eine Technologie alleine ist nutzlos. Erst wenn Menschen sie einsetzen, kann sie zum Gemeingut beitragen oder es zerstören. Und die Herausforderungen kann man nur in ihrem sozialen und ökologischen Kontext verstehen. Die Sozialwissenschaften sind gut dafür gerüstet, um die unterschiedlichen Technologien vor dem Hintergrund der Vielfalt von Realitäten zu betrachten.

Schliesslich kann mit einem Ansatz der partizipativen und engagierten Zukunftsforschung, in dem innovative kollaborative Praktiken und Methoden kombiniert werden, die Zukunft geplant und auf die Gegenwart eingewirkt werden. Dadurch wird es möglich, die Zukunft nicht mehr nur einigen wenigen, hegemonialen AkteurInnen zu überlassen, sondern allen, insbesondere jungen Menschen, einen Zugang geschaffen. Die Zukunft liegt in jedem Einzelnen von uns: Sie ist eine individuelle und kollektive Kompetenz. Individuelle und kollektive Handlungsfähigkeit und auch Mut sind entscheidend, um die technologische Entwicklung zu steuern und Ideen zur Antizipation anzustossen. Die Wissenschaft ist dafür ebenfalls grundlegend.

In diesem Zusammenhang kommt der Stadt Genf, symbolisch für Dialog, Frieden und Demokratie, eine besondere Rolle zu. Die Stadt von Calvin, Rousseau und Dunant vereint dank der Anwesenheit öffentlicher und privater AkteurInnen, die sich für die Steuerung globaler Herausforderungen und Technologien einsetzen, Fachwissen in Bezug auf innovative gemeinschaftliche Praktiken, Antizipation und technologische Steuerung.


Über den Autor

Dr. Jérôme Duberry ist Geschäftsführer des Tech Hub, akademischer Berater des Executive Programme in International Negotiation and Policy-Making und Forschungsbeauftragter am Albert Hirschman Centre on Democracy und am Centre for International Environmental Studies des Geneva Graduate Institute.


Disclaimer

Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Meinungen sind die der Autoren. Sie geben nicht vor, die Meinungen oder Ansichten des Geneva Policy Outlook oder seiner Partnerorganisationen wiederzugeben.